Die Opfer des Anschlags

  • Annette Barthelt

    geboren am 3. Oktober 1963 in Bonn, war die jüngste unter den getöteten Studenten. Nach bestandenem Vordiplom an der Universität Bonn setzte sie 1985 ihr Studium in Kiel mit dem Hauptfach Fischereibiologie und den Nebenfächern Zoologie und Ozeanographie fort. Annette Barthelt fiel den akademischen Lehrern durch ihre starke menschliche Ausstrahlung, Lebensfreude und große Aufmerksamkeit in ihrem Studienfach auf. Während einer ersten größeren Forschungsfahrt gewann sie Freude an Fragestellungen der seegehenden Meeresforschung und bewarb sich daher um die Teilnahme an der Meteor-Expedition in die Arabische See. Auf dieser mehrmonatigen Reise beabsichtigte Annette Barthelt, Proben für ihre anstehende Diplomarbeit zur Verteilung von Zooplankton als Nahrungsgrundlage von Fischlarven zu gewinnen. Annette Barthelt stand am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, und es war bereits deutlich, daß sie dabei Erfolge und Genugtuung hätte finden können.

     

    Marco Buchalla

    geboren am 27. November 1959 in Frankfurt, verbrachte einen Teil seiner Jugend im Nahen Osten. Er gehörte zu den wenigen deutschen Studenten, die sich in der arabischen Sprache verständigen konnten. Eines seiner Ziele war, dies später als Fischereibiologe beruflich zu nutzen. Nach dem Vordiplom in München bot ihm der Deutsche Akademische Austauschdienst ein Studienjahr in Kapstadt an, das Marco Buchalla mit großer Intensität nutzte. Nach Erwerb des Bachelors of Science wechselte Marco Buchalla 1983 an die Universität Kiel und fertigte 1985 seine Semesterarbeit während eines Ferienkurses an der "Bermuda Biological Station" an. Die anregende Kooperation mit ihm war für alle Arbeitskollegen ein Gewinn. 1986 legte Marco Buchalla sein mündliches Diplomexamen mit Fischereibiologie im Hauptfach sowie Zoologie und Informatik im Nebenfach ab, ausnahmslos mit sehr gutem Erfolg. Während der Meteor-Expedition plante Marco Buchalla ein neues, technisch kompliziertes meereskundliches Meßinstrument einzusetzen, mit dem die Größenverteilung von Planktonorganismen in situ kleinskalig erfaßt werden kann.

     

    Hans-Wilhelm Halbeisen

    geboren am 19. Dezember 1953 in Bamberg, studierte ebenfalls in Kiel Fischereibiologie im Hauptfach und den Nebenfächern Zoologie und Physik. Bevor er selbständig wissenschaftlich zu arbeiten begann, nutze er mehrmals die Gelegenheit, an Reisen des Fischereiforschungsschiffs Anton Dohrn in die Irische See teilzunehmen. Im Rahmen seiner Diplomarbeit erstellte er 1982 mit großem zeichnerischen Talent den ersten Bestimmungsschlüssel für Fischlarven der Irischen See. Dadurch wurde er in Deutschland zu einem der wenigen Experten für die Taxonomie dieser Organismen. Seine Kenntnisse hat er durch aktive Hilfe in Praktika vielfach an andere weitergegeben. Während seiner Doktorarbeit untersuchte er mit einem neu entwickelten biologischen Meßsystem die Ursache für unterschiedliche Verteilungsmuster des Planktons in der Irischen See. Hans-Wilhelm Halbeisen gelang es, das Gerät weiter zu modifizieren, und er beabsichtigte, einen neuen Prototyp des Instrumentesystems auf der Meteor-Expedition einzusetzen. Hans-Wilhelm Halbeisen war ein optimistischer und in seinem Inneren fröhlicher Mensch, mit festen Vorstellungen, was er für sich und andere als wichtig erachtete.

     

    Daniel Reinschmidt

    geboren am 5. November 1959 bei Frankfurt/Main, ging nach abgeschlossenem Vordiplom der Biologie im Jahre 1983 an die Universität Brest, um sich dort erstmals dem meereskundlichen Studium zu widmen. Die letzen Jahre seines Studiums verbrachte er an der Universität Kiel. Er fiel den Dozenten der Fischereibiologie schnell durch seine große technische Begabung und Bereitschaft auf, neue Methoden, in die er sich selbständig einarbeitete, bei der Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen anzuwenden. Auch Daniel Reinschmidt nahm während des Hauptstudiums mehrfach an biologisch-meereskundlichen Forschungsreisen teil. Er wurde aufgrund seiner frühzeitig erworbenen Fachkenntnisse bereits von englischen Arbeitskollegen auf eine Forschungsfahrt in die Keltische See eingeladen. Zusammen mit seiner Freundin Annette Barthelt beabsichtigte er, die Meteor-Expedition für seine Diplomarbeit zu nutzen. Die beiden jungen Studenten wollten nach dem Diplom mit Freunden und Kollegen in Frankreich ein Aquakulturunternehmen gründen und ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten zur Lösung der dabei auftretenden Probleme nutzen.

Nicht vergessen werden sollte an dieser Stelle, das es neben den Todesopfern in der Gruppe der deutschen Studenten und Wissenschaftlern auch mehrere Schwerverletzte gab. Vier junge Kieler Meeresforscher überlebten schwerverletzt mit Verbrennungen, Amputationen, Knochenzertrümmerungen, beschädigten Trommelfellen und inneren Verletzungen. An den Folgen leiden die Betroffenen teilweise noch heute. Zumindest konnte den vier Meereswissenschaftlern in einer gemeinsamer Initiative des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie, des Landes Schleswig-Holstein und des Instituts für Meereskunde an der Universität Kiel ein sicherer Arbeitsplatz in der Meeresforschung zur Verfügung gestellt werden.

Persönliche Anmerkungen eines Weggefährten der Opfer

Wir haben zusammen studiert, wir waren Komilitonen, das Interesse am Meer, an den Fischen hat uns verbunden … und wir waren Freunde. Mit Daniel und Anette war ich besonders freundschaftlich verbunden und es war für uns ein sehr guter Plan zusammen für zwei Monate auf der Meteor gemeinsam zu arbeiten und Freizeit verbringen zu können. Wir, das waren aber nicht nur Annette und Daniel und ich sondern auch noch mehrere andere Kollegen und Kommilitonen, waren alle gebucht für den Fahrtabschnitt 3a und 3b ab Djibouti. Nach dem Ende der Seereise wollten wir gemeinsam noch eine Woche Tauchurlaub auf den Malediven verbringen. Wir hatten uns gemeinsam und frühzeitig in einem Tauchshop in Kiel mit entsprechender Ausrüstung versorgt, diese sollte dann noch in die Ausrüstungskisten für unseren Teil der Expedition und in den Container welcher für den entsprechenden Fahrtabschnitt zur Meteor in den Hafen von Djibouti gebracht werden sollte.

Doch dann kam alles anders. Ich hatte mit der Kollegin Catriona Clemmesen eine Heringslarvenaufzucht für das zeitige Frühjahr1987 geplant, es waren wichtige Experimente für unsere Promotionsarbeit. Die Aufzucht sollte eigentlich bis Mitte März abgeschlossen sein um dann rechtzeitig nach Djibouti reisen zu können. Das Frühjahr war aber ungewöhnlich kalt und trüb gewesen und die Heringslaichbestände hatten in diesem Frühjahr Verspätung bei ihrer Ankunft in der Kieler Förde und im Nord-Ost Kanal. Dieser Umstand führte dann dazu, dass sich die geplante Aufzucht mit dem Zeitplan zur Teilnahme an der Meteorreise ab Djibouti überschneiden würde. Nach einigen Diskussionen mit unserem Doktorvater, Prof. Dr. Walter Nellen, wie wir diesen Konflikt auflösen können entschieden wir schließlich gemeinsam das wir uns erst zum Fahrtabschnitt 3b in Oman der Expedition anzuschließen wollten.

Wir waren zunächst ein wenig traurig darüber, dass wir nun nicht gemeinsam mit Annette und Daniel in die Expedition starten konnten, waren uns aber sicher dass wir den geplanten Tauchurlaub doch noch gemeinsam werden verbringen können. Wenige Abende vor dem Abflug der für Djibouti gebuchten Fahrtteilnehmer trafen wir uns noch im Oblomow in Kiel in einer größeren Gruppe um Abschied zu feiern. Als wir am späten Abend das Lokal verließen waren wir schon voller Vorfreude auf ein Wiedersehen unter subtropischem Himmel. Ich erinnere mich noch heute gut an die Worte als wir uns alle beim Abschied in die Armen nahmen; …ich hoffe wir sehen uns gesund wieder….normalerweise eher eine Floskel beim Abschied, welche in diesem Fall wenig später vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse in Djibouti eine ganz besondere Bedeutung erhalten sollte. Dieser Abend war das letzte Mal das ich mit Annette und Daniel gesprochen und gelacht hatte.

Am 19. März frühmorgens rief mich meine Kollegin Catriona an und berichtete das Daniel, Annette und Marc am Abend davor vermutlich bei einem Bombenanschlag in Djibouti ums Leben gekommen seien und es viele Verletzte unter den anderen Teilnehmern geben sollte. Die genauen Umstände waren noch nicht bekannt; aber ich erinnere mich das ich vor Entsetzen wie gelähmt war, keinen klaren Gedanken fassen konnte, nur noch dachte, damit ist die Expedition natürlich beendet. Die nächsten Tage waren schrecklich, es war immer noch unfassbar das ein Bombenanschlag irgendwo in Afrika den eigenen Freundeskreis getroffen hatte. Die verantwortlichen Fahrtleiter, die Leitstelle Meteor und die DFG mussten entscheiden ob die Expedition fortgeführt werden sollte. Ich musste aber auch für mich persönlich eine Entscheidung treffen. Schließlich wurde entschieden, die Expedition fortzuführen. Diese Entscheidung entstand wohl auch aus der Überzeugung, dass man sich dem Terror nicht beugen darf, und den Opfern nicht damit gedient ist aufzugeben. Ich hatte mich schließlich auch entschieden, wie geplant nach Oman zu fliegen und mich dort der Expedition anzuschließen um Daten für meine Promotion zu sammeln.

Nachdem ich in Oman angekommen war und am nächsten Tag auf der Meteor zusammen mit einem Kollegen meine Kammer bezogen hatte fanden wir in den Schubladen des Schreibtischs noch zurückgebliebene persönliche Gegenstände…sie waren von Daniel und Annette wie sich dann herausstellte. Es war ein sehr bedrückendes Gefühl für längere Zeit in der Kammer zu wohnen, in die Anette und Daniel noch vor ein paar Wochen voller Vorfreude eingezogen waren und die Freude die man normalerweise zu Beginn einer solchen spannenden meereswissenschaftlichen Reise empfindet stellte sich natürlich nicht ein. Das entsprach der Stimmung bei eigentlich allen neu eingestiegenen Wissenschaftlern in den ersten Wochen. In vielen Gesprächen versuchten wir das Geschehen zu verarbeiten.

Bis heute werden diese Erinnerungen immer wieder wach anlässlich der Veranstaltung zur jährlichen Preisverleihung der Annette Barthelt-Stiftung. Wenn heute über die Anzahl der Toten bei Bombenattentaten berichtet wird, muss ich spontan auch immer daran denken wieviel Leid die Schwerverletzten zu ertragen haben über die man meistens nicht berichtet; wir haben das bei den überlebenden Kommilitonen und Kollegen ja ganz nah miterleben können. Noch ein anderer Gedanke bewegt mich immer wieder. Wenn ich zusammen mit Annette und Daniel nach Djibouti gereist wäre hätten wir am Abend im Restaurant L´Historil zusammen am Tisch gesessen ….. das kalte Frühjahr 1987 und die Heringslarvenaufzucht haben mir wahrscheinlich das Leben gerettet….ich habe immer noch, nach über 35 Jahren, die ursprüngliche Liste der Fahrtteilnehmer aufbewahrt auf der ich zusammen mit Daniel und Annette für den Fahrtabschnitt ab Djibouti gebucht war, als Mahnung wie schmal der Grat im Leben oft ist, der über Glück oder Unglück entscheidet, wie schicksalhaft das Leben sein kann.

Dr. Bernd Ueberschär, Dezember 2022